Abschlussarbeit Psychologischer Berater SPH (1992)

Beratung vs. Psychotherapie: Abgrenzung


Nach dem Fernstudium an der Schule für Psychologie Haan/Hardt zum „gepr. psychologischen Berater SPH“ hatte ich das Bedürfnis nach einer Standortbestimmung, welche mir Klarheit über berufliche Möglichkeiten sowie Anwendung des Erlernten verschaffen soll.

Von besonderem Interesse erschien mir die Abgrenzung zur klinischen Psychotherapie hin. Denn allein Aufgrund der beiden Begriffsdefinitionen lässt sich nur schwer eine klare Trennung vornehmen. In Psychologischen Wörterbüchern und Lexika wird mehrheitlich darauf verwiesen, dass die Psychologische Beratung fließend in eine Psychotherapie münden würde, oder eine spezielle Form der Therapie sei.

Um eine Differenzierung vorzunehmen, vergleiche ich zuerst die jeweiligen Definitionen verschiedener Psychologischer Wörterbücher zu den Begriffen Psychologische Beratung und „Psychotherapie“, um Komponenten zu finden, über welche allgemeiner Konsens herrscht hinsichtlich ihrer Zuordnung.

Aus Gründen der Verfügbarkeit zitiere ich aus folgenden Nachschlagwerken:

  1. Dorsch Psychologisches Wörterbuch, 11. ergänzte Auflage 1987; Hans Huber Verlag
  2. Kleines Psychologisches Wörterbuch, 7. Auflage 1982; Herderbücherei
  3. Kleines Pädagogisches Wörterbuch, 3. Auflage 1983; Herderbücherei

Die sich daraus ergebenden Unterscheidungen zwischen Beratung und „Therapie“ werden hoffentlich zur Begriffsklärung beitragen oder wenigstens Bereiche erkennen lassen, in denen eine deutliche Abgrenzung gegeben ist, wie etwa Qualifikation der Ausübenden oder Anlass der Konsultation. Des weiteren kann eventuell ein Aufzeigen der juristischen Sachlage die Übersicht weiter vereinfachen helfen. Nachgehen möchte ich der formal juristischen Trennung der beiden Felder soweit als möglich wie auch deren Auswirkungen für Personen, die als Psychologische Berater tätig sind.

Als Ergebnis der Arbeit möchte ich Klarheit über die Möglichkeiten als „Psychologischer Berater SPH“ und die sich bietenden Tätigkeitsfelder gewonnen haben.

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„Beratung-Psychotherapie:
Versuch einer Abgrenzung“

A.:

Motiviert durch ein Fernstudium zum „Psychologischen Berater“ möchte ich dessen Aufgaben-und Betätigungsfelder definieren und zur „Psychotherapie“ abzugrenzen versuchen.

B.:

Nach dem Umreißen der beiden Begriffe die Unterschiede hervorheben, auch die Frage nach der Qualifikation der Ausübenden soll geklärt werden. Formal juristische Aspekte sollen ebenfalls Berücksichtigung finden.
  

Komponenten der Begriffe Psychologische Beratung und „Psychotherapie“

Psychologische Beratung
1.1.1. Bei dem Festlegen des Begriffs Psychologische Beratung stellt sich zuerst die Frage, was ist Psychologische Beratung:

Die Psychologische Beratung wird als umfassende Bezeichnung für einen ganzen Komplex von helfenden Maßnahmen verstanden, die zur Beseitigung persönlicher und sozialer Probleme in verschiedenen Lebensbereichen eingesetzt werden (2).

Beratung, counseling, ist ein vom Berater nach methodischen Gesichtspunkten gestalteter Problemlösungsprozess, durch den die Eigenbemühungen des Ratsuchenden unterstützt/optimiert bzw. seine Kompetenzen zur Bewältigung der anstehenden Aufgabe/des Problems verbessert werden.

Beratung ist gegebenenfalls auch Ergänzung von Einzelgesprächen durch die Teilnahme des Ratsuchenden an einem Interventionsprogramm oder einer Selbsthilfegruppe. Unter dem Einfluss des Behaviorismus wurde Beratung auch als Lernsituation aufgefaßt. Nach Krumboltz rückt Beratung in die Nähe der Erziehung. Das allgemeine Ziel von Beratung (Einstellungen und Verhalten zur Verwirklichung bestimmter Vorhaben verändern zu helfen, s.u.) setzt Beratung eindeutig von Führung ab (1).

  
1.1.2. Eine Beratung findet statt, weil sich Klienten an berufliche Helfer wenden. Die Grundlage der Beratung sind wissenschaftliche Erkenntnisse. Der Berater ist bestrebt, die Probleme des Klienten zu verstehen und ihm/ihr Anregungen und Hilfe zur Selbsthilfe zu vermitteln (3).

Die Frage ob Beratung „Psychotherapie“ sei und da mit speziellen professionellen Kräften, vorwiegend Medizinern, vorbehalten bleiben soll, lähmt leider immer noch die Tätigkeit von Psychologen im Bereich der Erziehung's-, Ehe-, und Familienberatung und vor allem die Einzelfallberatung(2).

Welche Gründe und Umstände aber haben zu einer so großen Nachfrage nach dieser Dienstleistung geführt?

Die zunehmende Komplexität der Wirklichkeit und der Berufsfelder, der Wertepluralismus, die Notwendigkeit beruflicher und sozialer Mobilität, erfordern vom Einzelnen ein hohes Maß an Orientierungs-, Umstellungs- und Lernfähigkeit, aber auch Mut und Geschick zur Lösung von Konflikten und zur Bewältigung von ungewohnten Aufgaben oder Schwierigkeiten, die er häufig nur mit Unterstützung seiner engeren sozialen Umwelt oder bestimmter privater/öffentlicher Einrichtungen (z.B. Beratungsinstitutionen) wirksam meistern kann.

Aber selbst bei einer Entscheidung seitens des Ratsuchenden, die bewusst unter Ablehnung/Verharmlosung einschlägiger Informationen erfolgte (z.B. gegen die Meinung der Öffentlichkeit oder gegen den Rat und die Erfahrung eines professionellen Beraters oder gegen einen prognostizierten Trend in der Entwicklung von Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt), kann es sich im Laufe der Zeit ergeben, dass beispielsweise die Art, wie jemand seinen Beruf ausfüllt und da mit Erfolg erringt, mehr Vorteile für den Einzelnen und für die Allgemeinheit bringen, als wenn der Ratsuchende seine Wertungen unreflektiert den Wertungen anderer angeglichen hätte und auf Dauer mit sich Unzufrieden gewesen wäre (1).

Pauschal gesagt, erfolgt Beratung also mit dem Ziel, persönliche Probleme zu verringern oder zu beseitigen. Dabei wird eine „bessere“ Anpassung (Hilfe zur Selbsthilfe) angestrebt unter Beachtung der Freiheit und der Würde des Menschen (3).

  
1.1.2.1. Die angestrebten Ziele der Beratung und erwünschten Ergebnisse sind in dieser Tabelle aufbereitet. Die Ziele lassen sich mit den (erhofften) Ergebnissen in etwa gleichsetzen.
  
1.1.3. Die Bereiche, in denen Beratung erfolgt, lassen sich unter anderem wie folgt nach einer Methode der Herren Josef A. Keller und Felix Novak gliedern:
Felder der Beratung
Kriterium: Bezeichnung der Beratungsart
Wer, Klient: Jugendberatung, Mütterberatung, Schülerberatung
Anlass, Problem: Erziehungsberatung, Berufsberatung, Drogenberatung
Ziel, Methode: Information, Vorbeugung, Behandlung, „Therapie“, Resozialisierung, Rehabilitation, Telefonseelsorge*

*Die Telefonberatung (Telefonseelsorge) entstand aus privater Bürgerinitiative und ist unter den genannten Beratungsformen die einzige, die von berufspolitischen Auseinandersetzungen verschont geblieben ist (überraschenderweise) (2). Weitergehende Ausführungen zu den Beratungsfeldern hier.
  
1.1.4. Weiter oben wurde schon angeschnitten, dass Psychologische Beratung auf der Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse über das menschliche Erleben und Verhalten erfolgt. Wie gestaltet sich nun eine Beratungssituation? Unter Beratung wird dabei keineswegs das Erteilen von „guten Ratschlägen“ seitens der Fachkraft, die Ermutigungen, Überredung oder ein Gespräch zwischen dem Ratsuchenden und dem Berater verstanden.
  
1.1.4.1. Ernsthafte und somit sinnvolle Beratung vollzieht sich in einem bestimmten Kontext, welche nicht wie in 1.1.4. schon angeschnitten mit einem informellen Gespräch oder gar mit dem Erteilen von Ratschlägen zu vereinbaren ist (2). Wie sich die Interaktion gestaltet, ist hier genau dargelegt.
  
1.1.4.2. Aus den bisherigen Ausführungen läßt sich ersehen, dass Intuition und Einfühlungsvermögen unabdingbar sind, aber keinesfalls ausreichen, wenn seriös Hilfe und Unterstützung geleistet werden soll. Die solide Grundlage für professionelle Beratung bilden Erkenntnisse aus der Verhaltenstherapie. Der methodische Ablauf einer Beratungssituation ist hier aufgeschlüsselt.
  
1.1.5. Möchte man darlegen, wer Psychologische Beratung betreibt, kommt man nicht umhin, nach dem Beratungsanliegen und auch der Institutionen, in welchen Beratung angeboten wird, zu fragen.
  
1.1.5.1. So haben sich für viele Fragen und Probleme, die sich aus den in westlichen Kulturkreisen vorherrschenden gesellschaftlichen Verhältnissen mit ihren ständig wachsenden Anforderungen an den Einzelnen ergeben, entweder Institutionen herausgebildet, die speziell zur Orientierungshilfe und Unterstützung/Problembewältigung des Einzelnen beitragen, oder bereits bestehende Einrichtungen haben Beratungsdienste in ihr Programm aufgenommen.
  
1.1.5.2. Die Rechtsgrundlage für die Einrichtung und Förderung von Erziehungsberatungsstellen bildet das Jugendwohlfahrtsgesetz. Die (finanziellen) Träger der Erziehungsberatungsstellen sind Kommunen, Länder, Kirchen, freie Wohlfahrtsverbände und freie Trägergemeinschaften. In den institutionalisierten Erziehungsberatungsstellen haben in der Regel Diplompsychologen die Leitung der Einrichtung inne, die von Diplomsozialpädagogen, seltener von Erziehern unterstützt werden.

Schulberatung: Bei allen Fragen, die im Zusammenhang mit der „Schullaufbahn“ eines bestimmten Kindes oder Jugendlichen auftreten, können sowohl von den Eltern und Jugendlichen als auch von Lehrern Schulpsychologen und Schuljugendberater aufgesucht werden.

Durch das Arbeitsförderungsgesetz vom 25.06.1969 wurde die Berufsberatung der Bundesanstalt für Arbeit übertragen. Die Berufsberatung wird deshalb von den Arbeitsämtern und deren Nebenstellen wahrgenommen. Sie kann ebenso wie Erziehung's- und Schulberatung als öffentliche Dienstleistung unentgeltlich in Anspruch genommen werden. Es ist Auftrag der Berufsberatung, Jugendliche und Erwachsene in allen Fragen der Berufswahl, der Berufsausbildung und des beruflichen Fortkommens zu beraten. Die Beratung selbst wird von Beamten des Arbeitsamtes vorgenommen (3).

  
1.1.6. Die skizzierten drei Bereiche aus klassischen Beratungsfelder machen deutlich, was auch für andere institutionalisierten Beratungseinrichtungen gilt: Ohne staatlich anerkannte Berufsabschlüsse, auch mit akademischem Grad, ist eine Ausübung einer beratenden Tätigkeit im sozialen Bereich nicht möglich.

Auf einen Nenner gebracht, lässt sich mit einer wie auch immer gearteten Beraterausbildung oder auch einem Lehrgang, der Psychologische Beratung zu Thema hat, in den etablierten Institutionen und Einrichtungen keine Zugangsvoraussetzung in entsprechende Positionen mit Beratungsfunktion erlangen. Diese Funktionen erfüllen Beamte und Angestellte der Einrichtungen mit oder auch ohne entsprechende Zusatzausbildung.

Besondere Erwähnung bedarf es § 203 StGB.: Danach wird bestraft,

„…wer unbefugt ein fremdes Geheimnis, namentlich ein zum persönlichen Lebensbereich gehörendes Geheimnis oder ein Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis, offenbart, das ihm unter anderem als Ehe-, Erziehung's- oder Jugendberater, Berater für Suchtfragen und/oder sonstiger Beratungsstellen anvertraut oder bekannt geworden ist (4)“.

Interessant ist, dass das auch zwischen Beratern und Personen, die eine solche Tätigkeit wahrnehmen, gilt. Dieses Gesetz ist deshalb von Bedeutung, weil es ausdrücklich die „Berater“ mit einbezieht, deren Berufsbezeichnung zu führen es keiner staatlich geregelter Ausbildung bedarf.

  

Psychotherapie
1.2. Nun zur näheren Erläuterung des Begriffs Psychotherapie. Um die dann folgenden Vergleiche mit den Komponenten des „Psychologischen Beraters“ einfacher durchführen zu können, wird dem selben Schema gefolgt wie bei dem zuvor zu umschreibenden Begriffs.

Der Zahl theoretischer Ansätze, welche die Psychologie zur Erklärung normalen und gestörten Erlebens und Verhaltens bereithält, entspricht die Anzahl von Verfahren und Techniken zur Modifikation dieses Erlebens und Verhaltens. Dieser Umstand führte zu teils massiver Kritik an dem in neuerer Zeit zu beobachtenden „Psychotherapie-Boom“. Diese kritische Verurteilung richtet sich dabei nicht nur gegen wissenschaftlich nicht begründete obskure Verfahrensweisen, sondern erstreckt sich auch auf anerkannte Therapietechniken (3).

Probleme der Indikation, der Therapiekontrolle und der Ausübung von Psychotherapie durch nicht genügend oder überhaupt nicht ausgebildete Personen tun ein Übriges zu dem öffentlichen In-Frage-Stellen psychotherapeutischer Maßnahmen. Zudem nehmen die Krankenkassen die Kosten für die Inanspruchnahme eines Psychotherapeuten oft erst dann auf, wenn für den Betroffenen kaum noch Heilungschancen bestehen (2).

  
1.2.1. Psychotherapie ist die Behandlung mit Hilfe der zwischenmenschlichen Kommunikation. „Psychotherapie“ wird auch bei der medikamentösen und instrumentellen Behandlung suggestiv wirksam, im engeren Sinne ist Psychotherapie der gezielte Einsatz zur Behandlung allein oder vorwiegend psychogen bedingter körperlicher oder seelischer Erkrankungen (1).

Etwas weiter gefasst werden alle systematischen Techniken und Vorgehensweisen, mit denen versucht wird, psychogene psychische Störungen zu heilen, die auf nicht oder falsch verarbeiteten Erlebnissen, Konflikten, Belastungen usw. beruhen und durch organische Ursachen nicht erklärt werden können, „Psychotherapie“ genannt.

  
1.2.2. Psychotherapie hat demnach hauptsächlich mit Neurosen und Verhaltensstörungen zu tun, aber auch mit Psychopathien oder kriminellen Verhalten (2). Ein entscheidendes Kriterium und für das Selbstverständnis der Psychotherapeuten von eminenter Wichtigkeit ist ,wie schon bei der Psychologischen Beratung erwähnt, der Leitspruch, Hilfe zur Selbsthilfe, leisten zu wollen.
  
1.2.3. Von der Tätigkeit des Psychotherapeuten muss die des Psychiaters unterschieden werden, der sich mit psychischen Störungen beschäftigt, die vorzugsweise auf einer organischen Grundlage beruhen, wie z.B. die sogenannten Geisteskrankheiten (Psychosen) (1).

Nach gängiger Ansicht werden psychotherapeutische Maßnahmen zur Behandlung psychogener oder soziogener psychischer Störungen (hauptsächlich Neurosen und Verhaltensstörungen) eingesetzt. Bei schweren psychischen Erkrankungen (Psychosen) ist die Einsatzmöglichkeit und Effektivität umstritten; allerdings liegen auch hier, vor allem aus der Psychoanalyse und Verhaltensmodifikation positive Behandlungsergebnisse vor.

In der Unterstützung und Erweiterung bzw. Nachbehandlung psychiatrischer Maßnahmen spielt „Psychotherapie“ eine zunehmend wichtigere Rolle.

  
1.2.4. Die Frage, „Welche Therapie bei welcher Störung?“ spricht das Problem der differentiellen Indikation an. Nach W. J. Schraml und L. J. Pongratz unterscheiden sich die einzelnen Psychotherapiemethoden hinsichtlich ihrer Einsatzmöglichkeiten bei verschiedenen Störungen.

Die Effektivität von „Psychotherapie“ wird von Psychotherapeuten zwar immer wieder behauptet, ist im konkreten Einzelfall aber äußerst schwer nachzuweisen. H. J. Eysenck vertritt sogar die These, die meisten psychischen Störungen würden auch ohne psychotherapeutische Einwirkungen, sozusagen von selbst oder spontan wieder verschwinden, ein Phänomen, das als Spontanremission bezeichnet wird (3).

Zusätzlich Kriterien für die Auswahl einer bestimmten Therapieart sind unter anderem Persönlichkeitsmerkmale des Klienten, Intelligenz, sprachliche Fähigkeiten, Alter, Geschlecht, spezifische Vorerfahrungen.

Es dürfte klar sein, dass bei einem Klienten z.B. die Gesprächspsychotherapie unangebracht ist, wenn er unfähig ist, sich einigermaßen sprachlich auszudrücken. In vielen Fällen empfiehlt es sich, ein kombiniertes Vorgehen in der Therapie zu wählen. So kann man beispielsweise als Einstiegs- und Begleittechnik „Gesprächspsychotherapie“ anwenden und den Hauptteil der Behandlung mit verhaltenstherapeutischen Techniken bestreiten (2).

  
1.2.4.1. Die Psychoanalyse wurde von manchen (vor allem bestimmten Interessenverbänden) bis in die Nullerjahre als die am besten geeignete Therapie zur Behandlung schwerer und chronischer psychischer Störungen angesehen(3).

Eine weniger gebräuchliche Bezeichnung dafür ist Deutende Psychotherapie, die weiter gefasst ist und auch die Nachfolger der Freudschen Psychoanalyse, etwa die „Individualpsychologie“ von Adler, die „Komplexe Psychologie“ C. G. Jungs, die „Neopsychoanalyse“ begründet von Schultz-Henke, die „Neo-Freudianer“ (Fromm, Horney, Sullivan) und andere umfasst. Von besonderer Bedeutung sind bei den Neurosen der Ödipus-Komplex und der Kastrationskomplex (Angst vor Strafe für unerlaubte sexuelle Wünsche und Handlungen).

Bei der psychoanalytischen Behandlung der Neurosen werden aus der Traumdeutung und den freien Einfällen, die der Patient bei ruhiger Selbstbesinnung äußert (freie Assoziation), die krankheitsbildenden Ursachen rekonstruiert und ihm gegen seinen oft sehr starken Widerstand bewusst gemacht (1).

  
1.2.4.2. Die Verhaltensmodifikation hat sich bei Phobien (Neurosen), Bettnässen, kindlichen Verhaltensstörungen, Erziehungsproblemen bewährt (2).

Wesentlich bei der Verhaltenstherapie ist die Zentrierung auf klar umschriebene und gut operationalisierte Verhaltensweisen, Kognitionen und Emotionen, die verändert werden sollen.

Verhaltenstherapeutische Ansätze sind: Gegenkonditionierung, reziproke Hemmung, operante Konditionierungstherapien, Modellernen/Beobachtungslernen, negative Übung, Selbstbehauptungstraining, Überflutungstherapie, Übersättigungstherapie (1).

  
1.2.4.3. Durch Gruppentherapie lassen sich soziale Kommunikations- und Interaktionsstörungen beseitigen (3).

Bei der Gruppentherapie werden psychotherapeutische Techniken, wie z.B. Gesprächspsychotherapie, Verhaltenstherapie, Psychoanalyse,„Psychodrama“, Kommunikationstherapie und „Musiktherapie“, in Gruppen von meist fünf bis zehn Mitgliedern, die nach Gesichtspunkten wie Alter, Geschlecht, Beschwerden und Persönlichkeitsmerkmalen zusammengestellt wurden, durchgeführt. Die Behandlung kann durch einen oder mehrere Therapeuten erfolgen.

Gegenüber der Einzeltherapie hat die Gruppe den Vorteil, dass die Therapie ökonomischer ist, da sie kürzer dauert, als wenn jeder für sich alleine behandelt werden würde und der einzelne besser z.B. in seine Familie oder seinen Beruf zurückfindet, da die Therapiegruppe der Wirklichkeit im Aufbau und im Ablauf des Geschehens ähnlich ist.

In allen Therapiegruppen wird versucht, die Aufmerksamkeit des Menschen für emotionale Äußerungen des anderen zu steigern. Die eigenen Handlungen können in Zukunft besser auf den Mitmenschen abgestimmt werden, da die Gruppenmitglieder dem Klienten sofort mitteilen, wie sein Verhalten auf die anderen wirkt. Vor allem erhält man Rückmeldungen von Leuten, mit denen man sonst nur selten zusammen kommt (weil man ihnen gegenüber Angst empfindet), wie z.B. der Arbeiter gegenüber dem Direktor, der gehemmte Mann gegenüber einem Mädchen.

  
1.2.4.4. Nicht-direktive Gesprächsführung (Gesprächspsychotherapie) ist besonders bei Selbstfindungsproblemen und Eheproblemen angebracht.

Sie ist ein nichtdirektiver, personzentrierter, klientenzentrierter therapeutischer Ansatz, der auch in der Beratung verbreitet ist. Von besonderer Bedeutung für den Praktizierenden ist dabei die Wahrnehmung und das Akzeptieren des eigenen Therapeutenverhaltens (Selbstkongruenz) (1).

  
1.2.4.5. Angespornt durch auffallende Erfolge mit erprobten Techniken, wie der •Verhaltenstherapie, der •Psychoanalyse, der •Gesprächspsychotherapie und der •Gruppentherapie, werden häufig mit ungestümen Drang neue Ansätze entwickelt, denen es zum Teil an einer sicheren wissenschaftlichen Grundlage mangelt und die kaum in der Lage sind, das Therapiegeschehen zu kontrollieren (z.B. Urschrei-Therapie).

Psychotherapeutische Techniken, die keiner der oben genannten Hauptrichtungen zugeordnet werden können, sind die Musiktherapie, desweiteren Milieu-, Beschäftigungs- sowie die „Relaxatationstherapie“, bei der die Entspannungstechniken wie Yoga oder autogenes Training zur Entlastung und Behandlung von neurotischen Verhaltensweisen oder organischen Störungen eingesetzt werden. Der Behandlung mit Entspannungstechniken liegt die Erkenntnis zugrunde, dass Angst und Erregung nicht gleichzeitig mit Entspannung auftreten können.

  
1.2.4.5.1. Die Musiktherapie behandelt psychische Störungen mit Hilfe des Musizierens (z.B. mit Xylophon und Schlaginstrumenten) oder des Hörens von Musik. Hierbei werden kreative Fähigkeiten frei gesetzt und durch rhythmische Bewegungen Spannungen abgebaut.
  
1.2.4.5.2. Die Milieutherapie greift verändernd in die konfliktverursachende Umgebung des Menschen ein. Es werden Familienmitglieder beraten oder erhalten aktive Hilfe, damit sich ihr Verhalten gegenüber dem verhaltensgestörten Kind ändert. So kann der Mutter eines Bettnässers der psychische Mechanismus dieses Verhaltens erklärt und Hinweise erteilt werden, wie das Kind mehr zu beachten und stärker in das Familiengeschehen einzubeziehen ist.

In schweren Fällen, wie z.B. Verwahrlosung, können Kinder oder Jugendliche der Erziehungsgewalt der Eltern entzogen und dem schädlichen Milieu ferngehalten werden.

  
1.2.4.5.3. Beschäftigungstherapie vermittelt dem Menschen durch den Vollzug sinnvoller Leistungen, wie z.B. die industrieähnliche Arbeit in beschützenden Werkstätten, mehr Selbstbewusstsein. Es dürfen keine zu einfachen Tätigkeiten, beispielsweise Tütenkleben oder Besenbinden und keine Überforderungen stattfinden, da der behinderte Mensch sonst abstumpfen würde und er nicht das Gefühl hätte, seine Fähigkeiten zu verwirklichen.
  
1.2.5. In der Medizin hat man in den letzten Jahren neuropysiologische Methoden zur Behandlung von Verhaltensstörungen entwickelt, mit denen versucht wird, die zu jeder Neurose gehörigen physiologischen Vorgänge zu verändern und dem Menschen so Erleichterung zu verschaffen. Die Wirksamkeit eines derartigen Vorgehens kann noch nicht abgeschätzt werden, da es an Untersuchungen mangelt. Durch chirurgische Eingriffe hat man bestimmte Hirnzentren oder Nervenbahnen des Menschen zerstört, wie z.B. die Verbindung des Stirnhirns zu anderen Regionen des Gehirns, um die mit der Neurose verbundene Angst zu vermindern.

Es zeigte sich aber, dass bei vielen Klienten keine Besserung eintrat und oft zusätzlich schwere emotionale und intellektuelle Beeinträchtigungen auftraten (Abstumpfung, Minderbegabung).

Bei einem anderen Vorgehen werden bestimmte Hirnteile mit schwachen elektrischen Stromstössen oder chemischen Substanzen gereizt, um z.B. mehr freudige und zuwendende Verhaltensweisen auszulösen.

Eine dritte Technik macht sich die Erkenntnis zu nutze, dass an sich nicht zu kontrollierende körperliche Gegebenheiten, wie z.B. der Hautwiederstand, den unter anderen Angstreaktionen begleiten, beeinflusst werden können, wenn sie dem Menschen bewusstgemacht werden (Rückmeldung). Man entwickelte deshalb technische Geräte, welche die physiologischen Funktionen messen und dem Klienten mitteilen, so dass er sie steuern oder gegenläufige Reaktionen entwickeln kann (z.B. Entspannungsverhalten). Diese Technik wird auch in der Verhaltenstherapie viel verwendet(2).

Neben psychologischen Maßnahmen lassen sich noch weitere therapeutische Einwirkungen denken, mit deren Hilfe man psychische Störungen/Spannungen oder deren Ursachen angehen kann. So kann die Einnahme von Psychopharmaka zumindest kurzfristige Linderung bestimmter Symptome (z.B. Depressivität, Abgeschlagenheit, Antriebsverminderung, Spannungen) bewirken; an den Ursachen der Störungen selbst wird da durch allerdings nichts verändert, und mittelfristig wird der Betroffene in eine Medikamentenabhängigkeit getrieben.

Zudem dürfte ein bedeutender Nachteil insbesondere medikamentöser Therapie sein, dass die Behandlung ohne jede Mitwirkung und Eigentätigkeit der Betroffenen abläuft. Die Klienten sind praktisch zur Passivität verurteilt, während sie ansonsten in der Psychotherapie eine eher aktive Rolle spielen, entsprechend dem Selbstverständnis psychotherapeutischer Arbeit, vor allem Hilfe zur Selbsthilfe anzubieten(3).

  
1.2.6. Die folgende schematische Übersicht wurde in ihrer Grundstruktur dem „Kleinen Psychologischen Wörterbuch“ entnommen. Sie stammt von Christian Michel und Felix Novak.
ÜBERSICHT ÜBER VERSCHIEDENE PSYCHOTHERAPEUTISCHE TECHNIKEN
Bezeichnung: Wissenschaftliche Grundlage: Anwendung: Ziel:
Verhaltens-
therapie
Erkenntnisse über das Lernen von Verhaltensweisen; Desensibilisierung; Shapping Bei allen Angstneurosen, vielen Psychopathien, Verhaltensstörungen im Kindesalter; Perversion (Aversionstherapie usw.) Verlernen unangepasster und Erlernen neuer Verhaltensweisen
Psychoanalyse Tiefenpsychologische Annahmen über Unbewusstes, Abwehrmechanismen, Verdrängung, Sexualität usw. Bei psychischen Störungen, denen unverarbeitete Erlebnisse und frühkindliche Konflikte zugrunde liegen Bewusstmachung verdrängter Konflikte
Gesprächs-
therapie
Gestörtes Selbstkonzept; durch das Verbalisieren von Gefühlen, Einfühlung usw. wird dem Klienten das Akzeptieren des eigenen Selbst vermittelt Bei schwer einzugrenzender Störung, die das gesamte Erleben betreffen: Mangelndes Selbstwertgefühl, Niedergeschlagenheit Es sollen Potenzen freigesetzt werden, die zu einem Wachstumsprozess führen (Rogers)
Gruppen-
therapien:

Selbsterfahrungs-

Rollenspiel-

Spiel-

Encounter-Gruppe (kann auch zu den Kommunikations-therapien gezählt werden)

Die Gruppe vermittelt Erfahrungen über das eigene Selbst (Ich), Anerkennung; in der Gruppe werden Verhaltensweisen gelernt oder Spannungen abreagiert Bei allen Störungen die durch Unsicherheit, soziale Konflikte, Unfähigkeit zu sozialen Kontakten usw. verursacht werden. Encounter-Gruppe: Kann als Versuch aufgefaßt werden, ein Sozialisationsdefizit unserer Gesellschaft zu kompensieren, das in mangelhafter Fähigkeit zur Selbstbesinnung und Wahrnehmung sozialer Beziehungen zum Ausdruck kommt (personenorientiert) Die Wiederherstellung oder Verbesserung psychosozialer Gesundheit
Familien-
therapie:

Sonderform der Gruppentherapie

Familie als Ursache psychischer Störungen; alle Familienmitglieder sind beteiligt. Die unterschiedlichen theoretischen und technischen Konzepte basieren auf Erfahrungen der Verhaltenstherapie, Psychoanalyse, Transaktionsanalyse u.a. und beziehen sich auf Kommunikations-, Informations- und Spieltheorie. Bei Familienkrisen Änderungen des familiären Beziehungssystems zur Veränderung im Verhalten und Erleben der einzelnen Familienmitglieder, um die Funktionsfähigkeit der Gruppe wieder herzustellen
Kommunikations-
therapie
:

Sensitivity-Training (zählt gleichermaßen zu den Gruppentherapien)

Erkenntnisse über die Bedeutung verschiedener Kommunikationsstile und über das Erlernen des Kommunikationsverhaltens. Sensitivity-Training: Dabei wird von der Annahme ausgegangen, dass die Kommunikationsstruktur und der Führungsstil das Wohlbefinden der Betriebsangehörigen beeinflussen und sich dies wiederum auf den Arbeitsprozess auswirkt Bei Störungen, die durch die Unfähigkeit, Kommunikationsverhalten des Partners zu deuten, verursacht werden. Dieser Ansatz findet vor allem bei Sexual- oder Partnerschaftstherapie Verwendung. Sensitivity-Training: Anwendung bei Interessenkonflikten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgeber (sachorientiert) Kommunikationsregeln sollen zugunsten neuen, befriedigenderen Lösungen geändert werden
Milieutherapie: Neue Umwelt schafft neue Lernmöglichkeiten. Dahinter steht die Anschauung, dass das Milieu und nicht das Ererbte für die seelische Entwicklung auf allen Gebieten (Intelligenz, Charakter) alleine oder vorwiegend bestimmend ist. Bei Störungen im Kindesalter Bereitstellen eines Umfeldes, welches die die Entfaltung der positiven oder auch nur erwünschten persönlichen Eigenschaften begünstigt bzw. ermöglicht
Musiktherapie: Die Effizienz der Musiktherapie liegt nur im Zusammenhang mit einem ganzheitlichen Behandlungskonzept und wird wohl am besten im Rahmen einer „therapeutischen Gemeinschaft“ verwirklicht Bei Psychosen (in der Psychiatrie), in der Geriatrie, Pädiatrie, Familientherapie, Rehabilitation, bei geistiger und körperlicher Behinderung Musizieren -vor allem in Gruppen- regt an, baut Spannungen ab, aktiviert
Physiologische
Therapien:

Schocktherapie

Pharmakotherapie

Erkenntnisse über die Funktion des Nervensystems und der Wirkung von Psychopharmaka Psychosen, Anfallsleiden (z.B. Epilepsie) Linderung für die betroffenen Personen, die Befähigung zur Meisterung des Alltags
  
1.2.7. Die Berufsbezeichnung „Psychotherapeut“ war zum Stand von 1992 noch nicht vom Gesetzgeber durch eine Legaldefinition geschützt.

Mit dem Gesetz in Konflikt geriet der vermeindliche „Psychotherapeut“ erst, wenn er sich mit Krankheiten im Sinne des § 1ff des Heilpraktikergesetzes befasste (Untersagt ist ihnen lediglich die Behandlung und Verhütung übertragbarer Krankheiten, die Behandlung von Geschlechtskrankheiten und Erkrankungen der Geschlechtsorgane sowie die Ausübung der Geburtshilfe und der Zahnheilkunde! ). Aus dem Heilpraktikergesetz vom 17.02.1939 [RGBl. S.251 = BGBl.III 2122-2], geändert durch das Gesetz vom 02.03.1974 [BGBl.I S.469].(7).

Dies stellte für die Bundesrepublik Deutschland im internationalen Vergleich ein Novum dar, insbesondere wenn man die Regulierungswut der deutschen Bürokratie in Betracht zieht.

Angemerkt sei hier, dass viele Privatschulen diese Rechtslücke nutzten, um Schulungen zum „Psychotherapeuten“/Psychologischen Berater anzubieten. Die Rechtsgrundlage hat sich aber seit dem 01.01.1999 geändert.

„Psychotherapeut“ durfte sich bis dahin jede/r nennen, sofern sie/er über eine Zusatzausbildung in einer bestimmten Therapietechnik verfügte (mehr oder weniger fundiert) und bei einer durch das Gesundheitsamt vorgenommenen Überprüfung (Amtsarztprüfung) nachgewiesen wurde, das die Ausübung der Heilkunde durch sie/ihn keine Gefahr für die Volksgesundheit bedeutete (7).

  
1.2.7.1. Damit war der „Psychotherapeut“ rechtlich Zugehöriger der Heilsberufe, deren Tätigkeit an eine staatliche Erlaubnis gebunden ist (4). Konkret hatte er da mit die Erlaubnis zur Ausübung der Heilkunde erlangt.

Zwar gab und gibt es von privater Seite oder von Vereinen betriebene Heilpraktikerschulen, jedoch sind weder der Inhalt der dort abgehaltenen Kurse noch der Besuch solcher Kurse überhaupt vorgeschrieben (7).

Das Ablegen der Prüfung vor dem Amtsarzt betraf unter anderem auch Diplompsychologen, die sich als „Psychotherapeuten“ niederlassen wollten. In der Regel wurde die „Psychotherapie“ von Ärzten ausgeübt, die über eine Zusatzausbildung in einer bestimmten Therapietechnik verfügten.

Grundsätzlich sollte der Therapeut in den Therapietechniken geschult sein, welche er einzusetzen gedenkt. Bei der Vielzahl an Techniken die bisher entwickelt worden sind und noch entwickelt werden, ist eine Spezialisierung unumgänglich.

Sofern man die Beschäftigungs- und Arbeitstherapeuten zu den „Psychotherapeuten“ zählen möchte, was aufgrund bestimmter Therapietechniken durchaus zulässig ist, siehe weiter oben unter Therapietechniken, nehmen diese eine Sonderstellung ein, welche nach dreijährigem Vollzeitunterricht in Lehranstalten und Ablegen einer staatlichen Abschlussprüfung ihre Berufsbezeichnung führen. (Nach dem Gesetz über den Beruf des Beschäftigungs- und Arbeitstherapeuten [4]). Sie gehören dann zu den Personen, die unter ärztlicher (oder anderer) Aufsicht agieren (7).

Die Ausbildungen in den einzelnen Therapietechniken sind staatlich nicht geregelt (mit Ausnahme der Arbeits- und Ergotherapeuten) und obliegen privaten Schulen, Interessenverbänden und Vereinen, von denen nicht wenige international tätig sind.

Psychotherapeutengesetz
Seit dem 01.01.1999 gilt in Deutschland das Psychotherapeutengesetz. Seither sind sie als Heilberufler staatlich anerkannt und dürfen, wie Ärzte, ihre Dienste in eigenen Praxen frei anbieten und die von ihnen erbrachten Leistungen mit den gesetzlichen Krankenkassen abrechnen.

Zugelassen sind allerdings nur die Vertreter folgender Behandlungsmethoden:

  • Psychoanalyse
  • Tiefenpsychologie
  • Verhaltenstherapie

Voraussetzung für die Approbation (Zulassung zur Ausübung der Seelenbehandlung) ist neben einem akademischen Grad (bevorzugt Diplom-Psychologen, aber auch Theologen und Pädagogen) der Nachweis über eine psychotherapeutische Zusatzausbildung.

Nur wer die Approbation besitzt, darf sich seither „Psychotherapeut“ nennen. Aber auch approbierte „Psychotherapeuten“ dürfen keine Blut- oder Röntgenbilder auswerten, Reflexe prüfen oder Hirnströme messen, noch rezeptpflichtige Medikamente verschreiben.

Auszug aus dem Gesetzestext zur Beschreibung des psychotherapeutischen Berufsauftrags, § 1:

Ausübung von Psychotherapie ist jede mittels wissenschaftlich anerkannter psychotherapeutischer Verfahren vorgenommene Tätigkeit zur Feststellung, Heilung oder Linderung von Störungen mit Krankheitswert, bei denen Psychotherapie indiziert ist

„Psychotherapie“ kann ihre Legitimität nur nachweisen, wenn sie systematische Erfolgskontrollen durchführt, das heißt konkret: „Psychotherapeuten“ müssen belegen können, dass das Verschwinden oder die Besserung einer psychischen Störung in der Hauptsache auf die therapeutische Behandlung und nicht auf andere unbekannte Faktoren zurückzuführen ist. Im allgemeinen kann die Durchführung systematischer Erfolgskontrollen sogar als Kriterium für die Seriösität einer psychotherapeutischen Methode wie auch für den praktizierenden Therapeuten gelten (3).

  

Unterscheidungsmerkmale
2.1. Die Art und Weise, wie die vorausgegangenen Ausführungen strukturiert waren, impliziert eine Unterscheidung zwischen Psychologischer Beratung und „Psychotherapie“ im Anlass der Konsultation. Da mit geht natürlich die Zielsetzung in logischer Konsequenz einher, oder anders ausgedrückt, was erreicht werden soll.

Mit der Beschränkung auf diese offensichtlichsten Merkmale soll erstens eine größtmögliche Transparents erreicht werden, zweitens möchte ich da durch vermeiden, in Spekulationen abzugleiten, was Aufgrund mangelnden Wissens und Kompetenz (Ausbildung) meinerseits zwangsläufig der Fall wäre.

Welche Gründe führen da zu, dass jemand eine Beratungsstelle aufsucht oder sich da für entscheidet, sich in Therapie zu begeben?

  
2.1.1. Eine Beratungsstelle wird von jemandem aufgesucht, der sich Hilfe bei einer Entscheidung oder Orientierungshilfe zu einem aktuellen Problem (Frage der Berufswahl, des weiteren beruflichen Werdegangs, Problemen bei der Kindererziehung, mit einem bestimmten Kind, der Partnerwahl oder ob und wenn wie eine bestehende Beziehung fortgeführt werden soll etc.) erhofft, wobei der Grund für das Aufsuchen der Beratungsstelle die Zielsetzung bereits vorweg nimmt.

Man könnte auch sagen, dass es sich um konkrete sachbezogene Fragen handelt, die geklärt werden sollen.

Die Hilfe eines Therapeuten dagegen wird jemanden in Anspruch nehmen, der weniger einer Orientierung in einer komplexen Umwelt bedarf, sondern von einer diffusen Unzufriedenheit sich selbst oder der Umwelt gegenüber genötigt sieht, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen, was schon eine gewisse Bewusstheit seitens des Klienten voraussetzt,wählt er selbst diesen Weg und sucht von sich aus therapeutische Hilfe.

Denkbar wäre auch, dass sich aus Beratungssituationen und Gesprächen die Notwendigkeit zu einer „Psychotherapie“ herleitet.

Vorstellbar wäre, dass jemand aufgrund erheblicher Erziehungsschwierigkeiten mit einem oder mehrerer seiner Kinder eine Erziehungsberatungsstelle aufsucht, um sozusagen Kniffe und Tricks zur Meisterung der Schwierigkeiten in Erfahrung zu bringen, wobei im Verlauf des/der Beratungsgespräche/s Konflikte in der Ehe des Ratsuchenden als die Ursache der Erziehungsprobleme (Durch die Umgangsformen, angespannte Atmosphäre im Heim des Ratsuchenden oder seine ständige Gereiztheit und Unzufriedenheit) lokalisiert werden können. Das würde eine „Überweisung“ an eine Eheberatungsstelle nahelegen und eventuell in eine Einzeltherapie des Ratsuchenden münden, sollte sich herausstellen, das der Ratsuchende selbst durch sein neurotisches Verhalten oder unrealistische Vorstellungen die Ehekrise wesentlich mit verursacht hat, mit eventuellem Einbeziehen der ganze Familie in einer Gruppentherapie.

  
2.1.2. Die Zielsetzung der Therapie liegt somit in der Beseitigung oder Reduzierung von Persöhnlichkeitsschwierigkeiten, die im Laufe der individuellen Entwicklung entstanden sind und sich verfestigt haben.
  
2.2. Alleine durch die unterschiedliche Zielsetzung bei der Psychologischen Beratung und der „Psychotherapie“ bedingt lässt sich unschwer auf den Zeitaufwand rückschliessen.

Während sich eine Beratung oft schon nach wenigen Sitzungen erübrigen kann (sobald eine Entscheidung getroffen wurde oder etwa ein Informationsdefizit beseitigt wurde), kann sich eine „Psychotherapie“ unter Umständen über Jahre hinziehen.

  
2.3. Auch der Rahmen oder Ort/Einrichtung, in dem Psychologische Beratung und „Psychotherapie“ stattfindet, bieten sich Aufgrund der bisherigen Betrachtungsweise als Unterscheidungsmerkmal an.

Dabei sollten auch praktische Hemmnisse nicht übersehen werden, unter denen gerade die Beratungseinrichtungen, die allen Bürgern, ohne diesen Kosten zu Verursachen, offenstehen. Da zu zählen Erziehungsberatungsstellen, Drogenberatungsstellen oder Eheberatungsstellen, die unter Kirchenträgerschaft stehen, von Kommunen, Ländern und freien Wohlfahrtsverbänden finanziert werden. Aber auch das Arbeitsamt gehört zu diesen Einrichtungen, die aufgrund des dort herrschenden Andrangs, des Personalmangels, der fehlenden Gelder usw., nicht in der Lage sind, längerdauernde Therapien durchzuführen und die Betroffenen zu begleiten, und sich deshalb darauf Beschränken müssen, Orientierungshilfen und Anleitungen zu geben (3).

  
2.4. Eine Unterscheidung aufgrund der angewandten Methoden vorzunehmen ist schwierig, da sich zwischen Psychologischer Beratung und „Psychotherapie“ erhebliche methodische Differenzen auftun können (bezüglich der unterschiedlichen Bandbreite an Techniken, die zur Verfügung stehen).

Beratung findet praktisch nur in Nicht-direktiver Gesprächsführung statt, oft mit dem Ziel der Verhaltensmodifikation, „Therapie“ kann mit einer Vielzahl von weiteren Ansätzen und Methoden arbeitet. Aber kaum eine Therapieform kommt ohne die Nicht-direktive Gesprächsführung aus.

  
2.5. Desweiteren scheint mir die Qualifikation der Berater vs. „Therapeuten“ kein relevantes Unterscheidungsmerkmal zu sein, das als pauschales Differenzierungskriterium fungieren kann. So arbeiten Diplompsychologen etwa in Erziehungsberatungsstellen wie auch als niedergelassene Psychotherapeuten in Privatpraxen, in denen sie Einzeltherapie wie auch Gruppentherapien durchführen.

  

Schlussfolgerungen

Auch wenn es wie weiter oben schon ausgeführt keine konkreten juristischen Bestimmungen hinsichtlich dessen gibt, was den nun ein Psychologische/r Berater/in ist und in welchen Bereichen sie (nicht) tätig sein dürfen, gibt es nach Auskunft von Herrn Heros Rosmaneck, dem damaligen Geschäftsführer des Bundesverbandes für psychologische Berater, folgende formal juristisch abgesicherte Umschreibung, mit der Interessierte in öffentlichen Anzeigen für sich werben dürfen:

„Begleitung und Hilfe zur Überwindung und Verminderung persönlichen Krisen und Schwierigkeiten“

Das diese Umschreibung sehr dehnbar ist und im Grunde genauso auf Psychotherapeuten angewendet werden kann, trägt nach Herrn Rosmaneck auch nicht gerade zu einer Klärung der Position von Psychologischen Beratern bei, was auch der Grund da für ist/war, dass Herr Rosmaneck für einen starken Verband eintritt/eintrat, um eben die Position der als selbstständig aktiven Psychologischen Beratern zu stärken.

Im konkreten Fall kann dies bedeuten, in das Spannungsfeld der Berufsverbände und Interessengemeinschaften zu geraten, etwa zwischen Ärzten und Diplompsychologen, was ein wirtschaftliches Überleben äußerst Ungewiss oder zumindest sehr schwierig gestalten kann.

Wenn sich auch weiter oben schon erwähnt die Rechtsgrundlage durch das damals schon zu erwartende Psychotherapeutengesetz geändert hat, ist es mit der Ausübung einer selbst ständigen Tätigkeit vorbei, die besuchten Kurse und Lehrgänge haben dann zur Allgemeinbildung beitragen (5).

In logischer Konsequenz ermöglicht eine Ausbildung zum Psychologischen Berater auch niemandem den Zugang zu Institutionen irgendeiner Art, außer in Verbindung mit einer regulären Berufsausbildung.

Überhaupt könnte man den Sinn eines solchen Kurses darin sehen, berufsbegleitend zur bisherigen Tätigkeit Grundkenntnisse in der Psychologie vermittelt zu bekommen.

Vorteilhaft wirken sich im allgemeinen solche Zusatzqualifikationen bei Bewerbungen um eine neue Stelle aus. Vorausgesetzt der Bewerber verfügt auch über eine entsprechende Ausbildung und bewirbt sich um eine Stelle, bei der solche Kenntnisse auch gefragt sind. Kommunikative Kompetenz ist zwar in aller Munde, aber niemand stellt einen Schlosser aufgrund solcher Fähigkeiten ein.

Es soll aber auch nicht unerwähnt bleiben, dass die Bezeichnung PsychologischerBerater erklärungsbedürftig ist, eventuell (sogar ziemlich sicher) auf Unverständnis stößt, und es gerade für den Bewerbungszweck vorteilhafter ist, von einer „berufsbegleitende Zusatzausbildung in Grundkenntnissen der Psychologie inklusive Intensivseminar mit praktischen Übungen“ zu sprechen. Oder sie ganz aussen vor zu lassen.

  

©Bodo Burtscher Hausarbeit — Schule für Psychologie Haan vom 04.01.1991 bis zum 30.10.1992 - Überarbeitet und in das HTML-Format übertragen im Sommer 2000. Letzte Überarbeitung des Inhalts 08.12.2002 Creative Commons Lizenzvertrag
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