Guitars: Patrick Eggle Vienna Pro - Baujahr 1993

Vienna Pro by Patrick Eggle
Amber Burst

Seriennummer: VP 7 93 105 (Vienna Pro, Juli 1993, die 105te), Made in England

Bei erster, beiläufiger Betrachtung denkt man unwillkürlich Paul Reed Smith. Aber was soll auch schon herauskommen, wenn man eine Strat mit einer Les Paul kreuzt? Und selbst wem der Name Patrick Eggle etwas sagen sollte, wird er/sie damit das Modell „Berlin“ (gespielt von Tony Iommi, Midge Ure, Nik Kershaw, UB40 oder auch Brian May) vor dem geistigen Auge haben. Aber „Vienna“?

Patrick James Eggle begann 1983 mit dem Gitarrenbau. 1991 schaffte er sich einige Maschinen an, um in einer Scheune auf dem Grundstück einer Farm in Hertfordshire mit dem Bau von Elektrogitarren zu beginnen. Als er auf einer Musikmesse seine Modelle ausstellte, traf er die entscheidenden Leute, um die „Patrick Eggle Music Co. Ltd.“ zu gründen (Trevor Wilkinson war mit dabei). Das Modell mit dem die Serienproduktion aufgenommen wurde, war die bereits erwähnte „Berlin“.

Als die Produktion im neu gegründeten Werk in Coventry in Schwung kam, fand Patrick Eggle sich zunehmend in einem Büro wieder, um administrative Aufgaben wahr zu nehmen. Das entsprach aber überhaupt nicht seinen Vorstellungen. Er zog sich daraufhin schrittweise aus der Firma zurück, um dann schließlich 1995 ganz auszuscheiden. Die Namens-Rechte sowie die Rechte an den von ihm kreierten Modellen trat er dabei ab. Die Firma machte also ohne den Meister weiter und verlegte den Firmensitz nach Queen's Chamber, Old Snow Hill in Birmingham.

Patrick Eggle selbst siedelte dann nach Caddington, Bedfordshire, in der 39 Front Street, slip End, um. Seine Leidenschaft galt dann einigen Jahren verstärkt den Archtops — „Patrick James Eggle Custom Guitars“.
Nach wechselnden Unternehmungen (auch mehrere Jahre in den USA) fertigt er wieder in England Elektrogitarren — Patrick James Eggle Guitars


Die Gitarre

Die Vienna wurde in Kleinstauflage gebaut. Ursprünglich war sie wie die meisten Eggle's mit Kent Armstrong Pickups aus koreanischer Fertigung bestückt. Auch das originale Ebenholzgriffbrett mußte ersetzt werden (dazu später mehr).

Features
  • 24 Bünde, eine Mensur zwischen Strat und Paula (ja, genau, wie bei PRS)
  • Hals und Korpus aus jeweils einem einteiligen Stück feinstem Mahagonie
  • Sehr starke (über 2cm, siehe Bild) wunderschöne bookmatched AAA Riegelahorndecke
  • Ebenholzgriffbrett
  • Sperzel USA Locking Tuners
  • Eggle (von Trevor Wilkinson gefertigt) Tremolo - sehr stimmstabil!
  • einmal Volume- und einmal Tonereglung
  • ein "richtiger" 5-Weg Wahlschalter (PRS User wissen was ich meine - dieses 5-fach-Wahlschalter-Poti kann einem Live den letzten Nerv rauben! - man weiß nie, was man gerade gewählt hat). Pos.1+3+5 wie bei einer Les Paul, die Zwischenpositionen schalten jeweils äußere oder innere Spulen der Humbucker in Serie und liefern wirklich brauchbare Strat-Zwischenpositions-Sounds (der Ton hat aber mehr Substanz, wirkt nie hohl)
  • einen unglaublich gut in der Hand liegenden Hals mit viel Holz

Der Sound:

Klang (das Ding lebt) und Sound-Vielfalt, allerdings anderes Tonspektrum nach Reparatur (ich komme noch dazu)

Die Original-Tonabnehmer sind gegen Exemplare aus Harry Häussel's Hexenküche ausgetauscht worden. Zum Einbau kamen für die jeweilige Position optimierte CT-HB-Perl in Zebraausführung. Sagenhafter Sound - die Gitarre mutierte damit zum Tone-Monster. Sie kann auch gewaltig schieben - umd immer ist richtig viel „Holz“ dabei.

Peter Green's Albatros:
Halspickup alleine - man kommt dem Sound nicht einfach nur nahe - man glaubt fast, es ist das Original! Da die Kammer des Tremolos mit den darin liegenden Federn nicht unter den Halstonabnehmer reicht, steht hier ein toller (Vintage) Les Paul Sound abrufbereit - nach der notwendig gewordenen Reparatur veränderte sich aber das Schwingungsverhalten.

Also ich die Gitarre erhielt, wollte ich im Zuge des Checkups auch die Halskrümmung einstellen (die Griffbrettwölbung war zu stark).
Die Einstellmutter des Trussrods ging immer schwerer, ohne dass sich an der Krümmung was tat. Das muß doch... das einzige was dann noch kam, war ein knackendes Geräusch — wer jemals eine Schraube beim Anziehen überdreht hat, weiss wie das klingt. Na Klasse!

Ich übergab sie dann in die kundigen Hände von André Waldenmaier (Staufer Guitars), der ihr ein neuen Stahlstab (Doppel-Trussrod) implementierte, anschließend ein wunderschönes Rio-Palisander-Griffbrett aufsetzte, dieses mit neuen Dunlop-Bünden versah und abrichtete, und zum Abschluß sehr schönen Iris-Abalone-Dot-Inlays einlegte.

Die Diagnose des Doktors: Beim Bau der Gitarre wurde eine großzügige Fräsung im Hals vorgenommen, der offensichtlich dazu diente, einen Doppel-Stahlstab aufzunehmen.
Dieser wurde dann aber nicht eingebaut, sondern ein gewöhnlicher Rundstab-Trussrod. André glaubt (hofft?!), das dafür tonbildende Überlegungen verantwortlich gewesen sein könnten - wiewohl diese für zumindest diese Gitarre etwas zu spät kamen.

Die Engländer schienen da aber wenig zimperlich - der einfache Rundstab-Trussrod hatte zuviel Spiel und keinen Angriffspunkt in Form von Holz (da ja weggefräßt), also legte man einfach ein Holzscheit zwischen (Unterseite-) Griffbrett und Stahlstab, und schon konnte der Stahlstab seinem Zweck gerecht werden.

Jetzt war aber dieser Holzscheit offenbar aus recht weichem Holz, was zur Folge hatte, das sich der Stahlstab immer tiefer hinein grub, bis er im Prinzip genauso „frei schwingen“ konnte wie eine Gitarrensaite. Und wenn man dann versuchte, irgendetwas einzustellen, verdrehte man den Stahlstab nur noch in sich - bis eben die maximale Materialbelastung errreicht war.

Der Sound (Nachtrag):

Vor dem Umbau/Reparatur war der Klang wirklich phantastisch, offensichtlich hat da wirklich alles zusammen gepaßt. Danach war er doch anders, ein Stück gewöhnlicher, immer noch sehr gut - resonant, dynamisch, ein gutes Sustain. Es fehlte aber das Quentchen Lebendigkeit, Körperhaftigkeit und Low-End. War der Klang (auch trocken) schlicht begeisternd, fast magisch, so war er jetzt „nur“ noch „wirklich gut“ — obwohl nun technisch alles perfekt war!

Foto der Patrick Eggle Vienna Pro, Totale

Hier noch mit den originalen schwarzen Pickup-Rahmen — ich hatte diese später auf cremefarbene umgerüstet

  

Detail Stärke der Ahorndecke

Sehr gut zub erkennen aus dieser Perspektive: die Dicke der Decke aus „AAA-Grade“ geflammtem Ahorn

  

Nahaufnahme des Bodies von schräg oben

  

Detailfoto des Tremolos

Das (von Trev Wilkinson designte) Tremolo bietet weitreichende Einstellmöglichkeiten
Die Gesamthöhe der Einheit wird mit den beiden äußeren Befestigungsschrauben justiert, die 4 innenliegenden Schrauben dienen ausschließlich der Schwingungsübertragung auf den Korpus. Der Tremoloarm ist gesteckt, seine Gängigkeit wird mittels Inbus-Schraube eingestellt

  

Detailfoto des demontierten Hässel-Neck-Pickups

Ein Blick in die Fräßung für den Halstonabnehmer „Häussel Pearl - Neck“

  

Foto der Vorderseite Kopfplatte

  

Foto der Kopfplattenrückseite

Die Sperzel Machine-Heads. Gut zu erkennen die Rändelmuttern, mit denen die Seiten arretiert werden

  


  


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